Erfolg gegen Jobcenter

Urteil: Jobcenter darf kein fiktives Einkommen anrechnen

Einem Paar wird Einkommen auf seine Hartz 4-Leistungen angerechnet – eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Nur: Der Mann verdient eigentlich viel weniger Geld als ihm angerechnet wird. Das Jobcenter sieht sich trotzdem im Recht. Der Mann hätte das Geld schließlich zur Verfügung haben können. So geht es nicht, mussten zwei Sozialgerichte klären.

Aufstocker wechselt Lohnsteuerklasse nicht

Die Ausgangssituation: Ein Paar stockt mit Hartz 4 auf. Der Mann hat Arbeit und zahlt Lohnsteuer auf sein Einkommen. Er hat Lohnsteuerklasse IV. Das Jobcenter rechnet nach und stellt fest: Lohnsteuerklasse III wäre günstiger für ihn.

In Lohnsteuerklasse III hätte er mehr Geld und das Jobcenter müsste entsprechend weniger zum Lebensunterhalt des Paares aufstocken. Also fordert das Jobcenter den Mann auf, die Lohnsteuerklasse zu wechseln. Das tut er aber nicht.

Jobcenter rechnet Einkommen fiktiv an

Das Jobcenter rechnet jetzt aber trotzdem so, als hätte er das höhere Gehalt bekommen. Mit der günstigeren Lohnsteuerklasse hätte über mehr als ein halbes Jahr zwischen 50 und 140 EUR mehr gehabt. Das Jobcenter kürzt die Leistungen der beiden jetzt um jeweils den entsprechenden Betrag.

Dagegen legt seine Frau mehrere Widersprüche ein. Das Jobcenter weist die Widersprüche zurück. Eine Klage am Sozialgericht (SG) Halle (Saale) folgt. Das Sozialgericht  gibt der Frau schon im Juni 2018 Recht.

Achtung: Selbst herbeigeführte Hilfebedürftigkeit

Jobcenter dürfen kein fiktives Einkommen anrechnen. Das gilt auch, wenn Leistungsempfänger trotz Aufforderung eine andere Sozialleistung wie Unterhaltsvorschuss nicht beantragen.

In einem solchen Fall kann das Jobcenter aber argumentieren, dass “selbst herbeigeführte Hilfebedürftigkeit” vorliegt. Dann kann es die Leistungen unter weiteren Voraussetzungen in Form einer Versagung bzw. Entziehung kürzen. Das ist zwar streng genommen keine Anrechnung von fiktivem Einkommen, der Effekt für die Leistungsempfänger ist aber der gleiche: Weniger Geld zum Leben.

Die Richter Sozialgericht entscheiden: Das Jobcenter hat dem Paar fiktives Einkommen angerechnet. Das ist rechtswidrig. Die beiden haben das Geld aus dem Wechsel der Steuerklasse nicht tatsächlich eingenommen. Deswegen darf es ihnen auch nicht als “bereite Mittel” angerechnet werden. Die beiden müssen mehr Geld vom Jobcenter bekommen, auch ohne Lohnsteuerklassenwechsel.

Jobcenter: Nur an die Regeln der BA gehalten

Das Jobcenter will das Urteil nicht akzeptieren und wendet sich ans Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt. Schließlich hat es sich nur an die fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit (BA)  gehalten.

Die Richter in der zweiten Instanz am Landgericht werden am 14.11.2019 deutlich. Sie betonen: Das Bundessozialgericht (BSG) hat schon entschieden, “die Anrechnung einer fiktiven Einnahme zur Bedarfsminderung ist nach dem System des SGB II dagegen ausgeschlossen” (Az.: B 14 AS 161/11 R). Im Klartext: Wer kein Geld verdient hat, dem darf auch kein Einkommen angerechnet werden.

 

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Geschrieben von: Paul zu Jeddeloh

Seit 2019 bereichert er unser Anwalts-Team und macht sich für die Rechte von Bürgergeld-Empfänger:innen stark. Soziale Ungerechtigkeiten räumt er aus dem Weg. Sein weitreichendes Know-how aus vergangenen Fällen und sein tiefgreifendes Wissen über aktuelle Entwicklungen im Sozialrecht verhelfen zahlreichen Ratsuchenden zum Recht.

Eine Antwort auf „Urteil: Jobcenter darf kein fiktives Einkommen anrechnen“

  1. es tut gut zu wissen, dass Jobcenters kein fiktives Einkommen verrchnen dürfen, ABER Nur gut! In der Praxis machen die es überall, jeder Areitsaufnahme -HORROR- man hat 0 zum Essen . Wie geht so was- man darf nicht, es ist gegen Gesetzen, und trotzt dem wird gemacht

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