Die neue Grundsicherung von CDU und SPD sieht laut Koalitionsvertrag einen vollständigen Leistungsentzug für sogenannte Totalverweigerer vor. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon 2019 entschieden, dass die Sanktionshöhe im Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) auf maximal 30 % der Regelsatzleistung zu deckeln ist. Wie realistisch ist also die (Wieder-) Einführung einer kompletten Kürzung des Regelsatzes?
Bürgergeld-Bescheid kostenlos prüfen lassen
Koalitionsvertrag will Totalsanktionen wiedereinführen
Nach nicht einmal drei Jahren wollen Union und SPD das Bürgergeld in der kommenden Legislaturperiode durch eine neue Grundsicherung ersetzen. Darauf haben sich beide Parteien im Koalitionsvertrag geeinigt. Das Prinzip des „Förderns und Forderns“ solle wieder stärker in den Fokus gerückt werden. Gleichzeitig wollen Christ- und Sozialdemokraten die Mitwirkungspflichten für Bürgergeld-Empfänger:innen verschärfen.
Verbesserungspotential sieht die zukünftige Bundesregierung auch im Bereich der Sanktionen. Jobcenter sollen schneller und konsequenter auf Fehlverhalten seitens der Leistungsbeziehenden reagieren können.
Geplant ist unter anderem eine Kürzung des Regelsatzes um 100 % für sogenannte Totalverweigerer: „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Gleichzeitig betonten CDU und SPD, die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur Sanktionspraxis beachten zu wollen.
Hinweis: BVerfG kassierte Totalsanktionen bereits
Zum Hintergrund: 2019 entschied das höchste Rechtsprechungsorgan Deutschlands, dass ein vollständiger Leistungsentzug nicht mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar ist. Wie genau die Koalitionsparteien Totalsanktionen und Rechtsprechung des BVerfG miteinander in Einklang bringen wollen, bleibt unklar.
100 %-Sanktionen rechtlich nur schwer umsetzbar
Trotz der recht eindeutigen Entscheidung aus Karlsruhe ist bereits jetzt schon ein vollständiger Leistungsentzug möglich – zumindest in der Theorie. Die ehemalige Ampel-Koalition hat letztes Jahr die Möglichkeit einer Totalsanktion ins SGB II aufgenommen. § 31a Absatz 7 SGB II regelt, unter welchen Voraussetzungen Jobcenter den Regelsatz in voller Höhe einbehalten dürfen:
- Der oder die Betroffenemuss schon einmal innerhalb der letzten zwölf Monate eine Leistungskürzung wegen Arbeitsverweigerung erhalten haben,
- es muss eine konkrete Arbeitsstelle vorliegen, die
- unmittelbar und willentlich von der bzw. dem Leistungsempfänger:in abgelehnt wurde.
In der Praxis wird diese Vorschrift aber so gut wie nie angewandt. Das hat gleich mehrere Gründe: Zum einen muss das Jobcenter Sie zu Ihrem Fall anhören und über die Folgen einer Nichtannahme des Stellenangebotes aufklären, bevor es irgendwelche Sanktionen aussprechen kann – ein Aufwand, den sich nur wenige Sachbearbeiter:innen machen.
Zum anderen muss Ihnen die Stelle zum Zeitpunkt der Sanktion immer noch vom Arbeitgeber angeboten werden. Für gewöhnlich suchen sich Unternehmen jedoch schnell einen anderen Kandidaten oder eine andere Kandidatin und ziehen das Arbeitsangebot zurück, sollten sie eine Absage erhalten.
Fazit: Totalsanktionen so gut wie nicht umsetzbar
Es lässt sich festhalten, dass Totalsanktionen in der Theorie zwar möglich sind, aber allein schon wegen ihrer gesetzlichen Ausgestaltung einen extrem kleinen Anwendungsbereich haben. Zudem bleibt unklar, ob das BVerfG § 31a Absatz 7 SGB II bei Gelegenheit für verfassungswidrig erklären wird.
Schließlich hat es in seinem Urteil von 2019 eine Höchstgrenze von 30 % für Kürzungen beim Bürgergeld festgeschrieben. Dass sich die Rechts- und Tatsachenlage in der Zwischenzeit so sehr verändert hat, ist eher unwahrscheinlich. Wenn die Koalitionsparteien also eine Totalsanktion durchsetzen wollen, müssen sie einen Weg finden, das BVerfG zufriedenzustellen – eine schier unmögliche Aufgabe.
Bürgergeld-Bescheid durch unsere Partneranwälte kostenlos prüfen lassen
- Komplett kostenlos
- Hohe Erfolgsquote
- Bis zu 650 Euro mehr im Jahr
Quellen:
Wie hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?