Zumutbarkeit von Arbeitsstellen: Arbeit vom Jobcenter ablehnen

Wer Bürgergeld (ehemals Hartz 4) erhält, muss dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehen. Das Jobcenter möchte Sie möglichst schnell wieder in eine Beschäftigung vermitteln, damit Sie keine Leistungen mehr benötigen. In der Praxis bedeutet dies, dass Sie sich um Arbeit bemühen müssen. Dabei hat sich mit der Bürgergeld-Einführung etwas Entscheidendes geändert: Der Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft. Es steht also nicht länger die Vermittlung einer Erwerbstätigkeit im Vordergrund. Auch Weiterbildungen und der Erwerb von Berufsabschlüssen rücken in den Fokus, um Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Gewisse Pflichten bleiben für Bürgergeld-Empfänger dennoch bestehen.

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Welche Arbeit ist zumutbar?

Die Zumutbarkeit von Arbeitsstellen ist in § 10 SGB II und § 140 SGB III geregelt. Aus beiden Paragrafen geht hervor, dass generell jede Art von Arbeit zumutbar ist. Das bedeutet, dass Sie in der Regel jede mögliche Tätigkeit annehmen müssen. Tun Sie dies nicht, drohen Sanktionen. Es werden in den Paragrafen jedoch Ausnahmen genannt, aus denen hervorgeht, wann eine Arbeit nicht zumutbar ist. Entsprechend gilt eine Arbeit als nicht zumutbar,

  • wenn Sie zur Ausübung der möglichen Tätigkeit körperlich, seelisch oder geistig nicht in der Lage sind. Hierzu ist ein ärztlicher Nachweis beim Jobcenter vorzulegen. Gleichzeitig darf das Jobcenter im Zweifelsfall aber einen Arbeitsversuch verlangen oder einen eigenen Amtsarzt zur Beurteilung einschalten.

Beispiel: Einem Bürokaufmann mit deutlichen Bandscheibenschäden kann keine rein stehende Tätigkeit als Produktionshelfer zugemutet werden.

  • wenn durch die Ausübung der vorgeschlagenen Tätigkeit, die Gefahr besteht, dass Sie Ihrer eigentlichen Tätigkeit nur noch erschwert nachkommen können. Dies ist dann der Fall, wenn die vorgeschlagene Tätigkeit besonders schwere körperliche Anforderungen an Sie stellt. Hier soll vermieden werden, dass Sie auf Dauer Ihren eigentlichen Beruf nicht mehr ausüben können.

Beispiel: Einer Friseurin kann keine Stelle als Umzugspackerin zugemutet werden. Es besteht die Gefahr, dass die schwere körperliche Arbeit körperliche Schäden hervorruft. Diese Schäden würden die stehende Arbeit als Friseurin auf Dauer deutlich erschweren.

  • wenn Sie durch die Annahme der Tätigkeit die Betreuung Ihrer Kinder nicht mehr gewährleisten können. Bei diesem Punkt darf der Besuch einer Kindereinrichtung für Kinder ab dem 3. Lebensjahr verlangt werden. Entsprechend ist die Kinderbetreuung nur gefährdet, wenn Ihr Kind trotz Ihrer Bemühungen keinen Platz in einer Kindertageseinrichtung erhält oder, wenn die Arbeitszeiten über die Öffnungszeiten der Einrichtung hinausgehen würden.

Beispiel: Einer Mutter mit einem 2-jährigen Kind kann keine Arbeit zugemutet werden, wenn niemand außer ihr die Betreuung des Kindes in dieser Zeit übernehmen kann. Ist das Kind 3 Jahre alt und besucht den Kindergarten, kann der Mutter in dieser Zeit eine Arbeit zugemutet werden.

  • wenn Sie die Pflege eines Angehörigen übernommen haben und Sie diese durch die Aufnahme der Tätigkeit nicht mehr leisten können. Das Jobcenter prüft hier jedoch auch, ob alternative Pflegemöglichkeiten vorhanden sind.

Beispiel: Ein Maurer hat die Pflege seiner pflegebedürftigen Mutter im eigenen Haus übernommen. Eine Montagetätigkeit mit Abwesenheiten unter der Woche kann ihm nicht zugemutet werden. Es sei denn, andere Familienmitglieder können in dieser Zeit die Pflege übernehmen.

  • wenn Sie einen sonstigen, wichtigen Grund haben, der gegen die Aufnahme der Tätigkeit spricht. Hier handelt es sich um individuelle Einzelfallentscheidungen. Im Zweifelsfall entscheidet das Sozialgericht.

Achtung

In allen Fällen haben Sie die Nachweispflicht. Das bedeutet, dass Sie dem Jobcenter gegenüber nachweisen müssen, dass einer der genannten Gründe vorliegt. Sprechen Sie mit Ihrem Jobcenter, bevor Sie die Tätigkeit ausschlagen, um mögliche Sanktionen zu vermeiden.

Spielen die berufliche Qualifikation und der Verdienst eine Rolle?

Während bei Hartz 4 berufliche Qualifikationen bislang hinten anstanden, soll diesen beim Bürgergeld Beachtung geschenkt werden. Beziehende sollen entsprechend ihrer Qualifikationen und Interessen gefördert werden, um nachhaltig in den Arbeitsmarkt wieder integriert werden zu können. Haben Sie beispielsweise vor Ihrer Langzeitarbeitslosigkeit eine Ausbildung begonnen, soll Ihnen nun die Möglichkeit eingeräumt werden, diese weiterführen und abschließen zu können. Mehr noch: Sie können auf eine anrechenfreie Prämie hoffen, bilden Sie sich weiter oder holen Sie einen Berufsabschluss nach.

Der Verdienst spielt in dem Kontext eine untergeordnete Rolle. Soll heißen: Es ist durchaus möglich, dass Sie wesentlich weniger verdienen als vor dem Bezug von Bürgergeld (ehemals Hartz 4). Der Verdienst darf sogar unterhalb der Sozialleistungsgrenze liegen. 

Um Ihre jeweiligen Stärken, Schwächen und Interessen hervorzuheben und entsprechende Vermittlungs- oder Maßnahmenoptionen abzustimmen, wird künftig ein Kooperationsplan erarbeitet. Der löst die Eingliederungsvereinbarung ab und soll neben einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt auch das Vertrauen zwischen Leistungsbeziehenden und Integrationsfachkräften stärken.

Ausnahme Verweigerung: Der angebotene Lohn verstößt gegen Tarif oder Gesetz

Wie oben bereits erwähnt, müssen Sie ggf einen deutlich geringeren Lohn hinnehmen. Eine Grenze gibt es jedoch: Der künftige Arbeitgeber zahlt ein Gehalt unterhalb des geltenden Tarifvertrags oder verstößt gegen die gesetzliche Regelung zum Mindestlohn. In diesen Fällen ist die Aufnahme der Arbeit nicht zumutbar. Sie dürfen diese ablehnen.

Denken Sie hier aber auch an Ihre Nachweispflicht und sprechen Sie vorab mit dem Jobcenter. Gleiches gilt im Übrigen, wenn das Angebot sogar sittenwidrig ist. Davon können Sie ausgehen, wenn der Lohn 30 Prozent unterhalb des üblichen Tarifs oder des ortsüblichen Lohns liegt. Bei Verstößen gegen den rechtlichen Arbeitsschutz ist die Stelle ebenfalls nicht zumutbar.

Ist jeder Arbeitsweg zumutbar?

Der tägliche Arbeitsweg wird bei der Aufnahme einer Tätigkeit nur bedingt berücksichtigt. Der Arbeitsweg darf demnach auch wesentlich weiter sein, als der letzte Weg vor der Arbeitslosigkeit. Konkret gibt es folgende Richtwerte:

  • Bei einer täglichen Arbeitszeit von mindestens sechs Stunden darf die Fahrtzeit insgesamt 2,5 Stunden betragen.
  • Bei einer Arbeitszeit von weniger als sechs Stunden immer noch zwei Stunden.

Die Zeiten dürfen sogar noch länger sein, wenn regionale Pendler mit ähnlicher Tätigkeit üblicherweise noch länger unterwegs sind. Dabei sind alle Verkehrsmittel zumutbar.

Ausnahmen gibt es hier nur, wenn aus gesundheitlichen Gründen ein langer Arbeitsweg nicht möglich ist oder die langen Fahrtzeiten der Pflege von Angehörigen oder der Erziehung der Kinder im Weg stehen. Auch Wochenendpendeln und eine vorübergehende doppelte Haushaltsführung sind nicht ausgeschlossen, wenn keiner der fünf oben genannten Gründe dagegen spricht. Gleiches gilt für einen Umzug in einen weiter entfernten Ort, wenn dort eine Arbeitsstelle zur Verfügung steht.

Beispiel 1: Ein Familienvater mit zwei Kindern ist von Beruf Technischer Zeichner. Die Familie erhält wegen langanhaltender Arbeitslosigkeit Bürgergeld (ehemals Hartz 4). Die Ehefrau ist halbtags berufstätig und kümmert sich um die Kinder. Da es regional keine Arbeitsstellen gibt und die Frau die Kinder versorgt, kann dem Vater ein Arbeitsweg von bis zu 2,5 Stunden täglich zugemutet werden. Aufgrund der familiären Situation kann ein Umzug nicht erwartet werden, wohl aber vorübergehend eine doppelte Haushaltsführung und ein Wochenendpendeln.

Beispiel 2: Eine junge Frau findet nach Ihrer Ausbildung keine Stelle als Kosmetikerin in ihrem ländlichen Wohnbereich. In der nächst größeren Stadt gibt es viele entsprechende Stellenangebote. Das Jobcenter kann von der ungebundenen Frau einen Umzug verlangen, wenn sie dort ein Jobangebot erhält.

Konkrete Arbeitsbedingungen werden im Einzelfall geprüft

Die neue Stelle sieht Nacht- oder Schichtarbeit vor? Die Arbeitszeiten sind ungünstig verteilt? Es gibt geteilte Dienste oder Arbeit am Wochenende? Die Arbeit ist emotional oder körperlich sehr belastend? Diese individuellen Arbeitsbedingungen werden im Einzelfall vom Jobcenter bewertet. Im Prinzip gilt wieder: Wenn keine der fünf gesetzlichen Gründe gegen diese Bedingungen spricht, müssen Sie die Arbeit aufnehmen.

Beispiel 1: Eine alleinerziehende Mutter von drei schulpflichtigen Kindern erhält ein Stellenangebot als Produktionshelferin. Bei der vorliegenden Stelle wäre Schichtarbeit im 3-Schicht-System (Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht) zu leisten. Da die Betreuung der Kinder durch die Aufnahme der Tätigkeit nicht gewährleistet wäre, ist die angebotene Stelle für diese Frau nicht zumutbar.

Beispiel 2: Ein junger Mann erhält das gleiche Stellenangebot. Eigentlich möchte er nicht im Schichtbetrieb arbeiten. Da er aber weder Kinder zu versorgen hat noch die Pflege von Angehörigen übernimmt oder gesundheitliche Einschränkungen hat, ist ihm die gleiche Stelle sehr wohl zumutbar.

Beispiel 3: Eine Krankenschwester mit Depressionen erhält ein Stellenangebot vom Kinderhospiz. Der behandelnde Psychologe hält diese Stelle für emotional zu stark belastend. Die Depression könnte sich verschlimmern. Die Arbeit ist nicht zumutbar.

Gibt es eine Regelung für Stellen in der Zeitarbeit?

Auch Zeit- und Leiharbeit ist zumutbar. Sie dürfen die angebotene Stelle nicht ablehnen, nur weil es sich beim Arbeitgeber um eine Zeitarbeitsfirma handelt.

Und wenn der Arbeitsvertrag nur befristet angeboten wird?

Bietet der künftige Arbeitgeber Ihnen (vorerst) nur einen befristeten Arbeitsvertrag an, ist die Stelle trotzdem zumutbar und muss angenommen werden.

Aufstocker müssen die Stelle wechseln

Arbeiten Sie in Teilzeit oder auf Minijob-Basis und erhalten aufstockend Bürgergeld-Leistungen, müssen Sie die Arbeitsstelle wechseln. Erhalten Sie das Angebot einer Vollzeitstelle oder einer Stelle mit deutlich besseren finanziellen Leistungen, kann das Jobcenter verlangen, dass Sie kündigen und die neue Stelle annehmen. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsbedingungen schlechter sind oder der Arbeitsweg weiter.

Und wenn Sie die Arbeit trotzdem ablehnen?

Liegt kein gesetzlicher Hinderungsgrund vor, dürfen Sie die Arbeit nicht ablehnen. Tun Sie dies trotzdem, drohen Sanktionen. Bei einem vereinbartem Kooperationsplan muss einer Sanktion allerdings eine Aufforderung mit Rechtsfolgenbelehrung vorausgehen. Erst dann kann es zu einer Kürzung um bis zu 30 % kommen. Komplett Leistungen einzustellen ist nicht länger zulässig.

Zusammenfassende Tipps:

  • Besprechen Sie Ihre Gründe immer mit dem Jobcenter, bevor Sie eine angebotene Stelle ablehnen.
  • Bereiten Sie sich auf dieses Gespräch vor und nennen Sie stichhaltige Punkte.
  • Bringen Sie bereits vorhandene Nachweise zum Gespräch mit.
  • Lassen Sie sich im Zweifel rechtlich beraten.

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Geschrieben von: Paul zu Jeddeloh

Seit 2019 bereichert er unser Anwalts-Team und macht sich für die Rechte von Bürgergeld-Empfänger:innen stark. Soziale Ungerechtigkeiten räumt er aus dem Weg. Sein weitreichendes Know-how aus vergangenen Fällen und sein tiefgreifendes Wissen über aktuelle Entwicklungen im Sozialrecht verhelfen zahlreichen Ratsuchenden zum Recht.

Eine Antwort auf „Zumutbarkeit von Arbeitsstellen“

  1. Sehr geehrte Damen, Herren
    Meine Frage ist Frau Arbeitet 19 Stunden in der Woche von 8-13:15 und ist um 15 Uhr zu Hauseda sie mit dem Bus und Bahn unterwegs ist, jetzt ist es das sie noch eine stelle sich such muss ,Vom Jobceter ist das gerechtfertigt. Kann sie denn zweit Job ablehnen ??? Sie Arbeitet schon 5 Jahre da und jetzt kommen sie damit. Es wäre schön ob sie einen Rat hätten… LG Herrn Ende Thomas

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