Dürfen Jobcenter Aufrechnung und Zahlungsaufforderung in einem Bescheid bündeln, wenn Bürgergeld-Empfänger:innen Leistungen zurückzahlen sollen? Das ist rechtlich umstritten. Eine für Ende September geplante Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) wird diese sehr praxisrelevante Frage jedoch ein für alle Mal beantworten. Wir verraten Ihnen, warum es sich trotz fehlenden Urteils aus Kassel jetzt schon für Sie lohnen kann, Widerspruch einzulegen.
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Aufrechnung und Erstattung in einem Bescheid
Erhalten Sie zu viel Geld vom Amt, müssen Sie den Überschuss zurückzahlen. Üblicherweise rechnet das Jobcenter dann seinen Erstattungsanspruch mit Ihrem Bürgergeld-Anspruch auf. Vereinfacht gesagt kürzt die Behörde Ihren Regelsatz so lange, bis die Differenz ausgeglichen ist.
An und für sich ist diese Praxis rechtlich zulässig. Nur das Wie sorgt innerhalb der Rechtsprechung für Diskussionen. Denn: Das Jobcenter muss die Aufrechnung Ihnen gegenüber zuerst erklären, damit sie wirksam ist. Häufig geschieht das gleichzeitig mit der Aufforderung zur Rückzahlung. In ein und demselben Bescheid nimmt das Jobcenter also zwei Handlungen vor:
- Das Amt weist Sie an, das Geld zu erstatten.
- Die Behörde informiert Sie darüber, dass sie dafür Ihren Regelsatz entsprechend kürzt.
Und genau das ist für einige Gerichte ein Problem.
Achtung: Aufrechnung darf maximal 30 % des Regelsatzes betragen!
Die Aufrechnung von Leistungen ist in § 43 des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) geregelt. Dort ist festgelegt, dass das Jobcenter maximal 30 % Ihres Regelsatzes zur Tilgung des Erstattungsanspruchs verwenden darf. Bei vorläufigen Leistungen sind es sogar nur 10 %.
Gerichte sind sich über Rechtmäßigkeit uneins
Auf den ersten Blick wirkt die Bündelung von Zahlungsaufforderung und Verrechnung in einem Bescheid wie eine bloße Formalie. Tatsächlich steckt aber mehr dahinter: Wenn das SGB II die Zusammenlegung wirklich erlauben sollte, wäre eine Aufrechnung unabhängig von der Bestandskraft der Erstattungsforderung möglich. Das bedeutet, dass das Jobcenter bis zum Eingang eines Widerspruchs erst einmal Ihre Leistungen kürzen dürfte – selbst wenn sich die Rückforderung später als unrechtmäßig herausstellen sollte.
Bei zwei getrennten Schreiben bestünde diese Gefahr nicht. Die Behörde müsste dann erst die Widerspruchsfrist abwarten, bevor sie die Anrechnung erklären und durchführen darf.
Welche der beiden Auffassungen nun richtig ist, ist selbst zwischen den einzelnen Landessozialgerichten (LSG) umstritten: Während das LSG Niedersachsen-Bremen kein Problem mit kombinierten Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden hat, halten die Sozialrichter:innen in Thüringen diese für rechtswidrig. Den Streit schlichten muss jetzt das BSG. Dort sind momentan insgesamt drei Verfahren zu kombinierten Bescheiden – darunter auch die Präzedenzfälle aus Niedersachsen und Thüringen – anhängig. Das Grundsatzurteil aus Kassel soll am 23. September gefällt werden.
Hinweis: Bestandskraft von Bescheiden
Bestandskraft bedeutet, dass ein Bescheid rechtskräftig und damit unanfechtbar geworden ist. Er kann nicht mehr mit gewöhnlichen Rechtsmitteln wie Widerspruch oder Klage angegriffen werden, weil die dafür vorgesehene Frist abgelaufen ist. Deshalb ist es enorm wichtig, die Fristen für den Widerspruch einzuhalten!
Darum lohnt sich ein Widerspruch gegen eine Aufrechnung vom Jobcenter
Obwohl eine endgültige Entscheidung des BSG noch aussteht, lohnt es sich trotzdem, schon jetzt Widerspruch gegen die Aufrechnung durch das Jobcenter einzulegen. Denn vor Gericht haben Sie bzw. Ihr Prozessvertreter die Möglichkeit, auf das kommende Urteil des BSG hinzuweisen und ggf. einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens zu stellen. Sobald die Bundesrichter:innen die Streitfrage abschließend geklärt haben, wird sich auch das für Ihren Fall zuständige Gericht an deren Rechtsprechung orientieren.
Wie das BSG letztendlich entscheiden wird, ist unklar. Fest steht nur, dass das Urteil von großer Bedeutung für Bürgergeld-Empfänger:innen und Jobcenter gleichermaßen ist: Sollte das höchste Sozialgericht Deutschlands die strengere Auffassung des LSG Thüringen teilen, dürften tausende Bescheide rechtswidrig sein. Die Jobcenter wären dann dazu gezwungen, ihre Arbeitsweise grundlegend zu ändern.
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