Die Sorgfaltspflicht nach dem SGB verpflichtet Bürgergeld-Empfänger:innen nicht dazu, jeden Fehler in einem Jobcenter-Bescheid zu finden.

Sorgfaltspflicht im SGB: Empfänger dürfen auf Bescheide vertrauen

Zahlt das Jobcenter aufgrund eines Berechnungsfehlers zu viel Geld an Bürgergeld-Empfänger:innen aus, darf es den überschüssigen Betrag anschließend nicht zurückfordern. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg entschieden. Leistungsbeziehende seien nicht dazu verpflichtet, komplizierte Leistungsberechnungen im Detail auf Fehler zu überprüfen und das Amt darauf hinzuweisen.

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Jobcenter verrechnet sich und zahlt zu viel Bürgergeld aus

Geklagt hatte eine dreiköpfige Familie, die seit Juli 2020 Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht. Ab Februar 2021 war der Vater als Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft beschäftigt, weshalb das Jobcenter den Regelsatz anpassen musste. Bei der Berechnung ist der Behörde jedoch ein Fehler unterlaufen:

Statt des tatsächlichen Nettogehalts des Mannes von 1.600 EUR legte das Jobcenter fälschlicherweise ein Bruttoeinkommen von 1.600 EUR zugrunde. Im Ergebnis zahlte das Amt der Familie letztendlich mehr Bürgergeld aus, als ihr eigentlich zustand.

Nachdem der Fehler aufgeflogen war, forderte das Jobcenter die zu viel gezahlten Leistungen zurück. Der Familie hätte solch ein Fehler in ihrem Bescheid auffallen müssen, so die Begründung. Weil die Leistungsbeziehenden ihre Sorgfaltspflicht nach dem SGB II missachtet hätten, seien sie nun zur Rückerstattung verpflichtet.

Hinweis: Unterschied Brutto und Netto
Das Bruttogehalt umfasst Ihr gesamtes Einkommen vor Abzug von Steuern und Sozialabgaben. Dagegen ist das Nettogehalt das, was am Ende tatsächlich auf Ihrem Konto landet. Dementsprechend ist das Bruttogehalt immer höher als das Nettogehalt, was im vorliegenden Fall zum Rechnungsfehler geführt hat.

Missachtung der Sorgfaltspflicht kann zu Rückzahlungen führen

Unter welchen Voraussetzungen das Jobcenter zu hohe Leistungen zurückverlangen kann, ist gesetzlich geregelt: § 45 des Zehnten Sozialgesetzbuches (SGB X) ermächtigt Sozialleistungsträger dazu, begünstigende Verwaltungsakte (dazu zählt auch das Bürgergeld) zurückzunehmen, wenn diese rechtswidrig erteilt wurden.

Eine Rücknahme ist aber ausgeschlossen, wenn der oder die Begünstigte auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes vertrauen durfte. Auf das Vertrauen können sich Bürgergeld-Empfänger:innen wiederum nicht berufen, wenn sie:

  • das Jobcenter arglistig getäuscht haben,
  • bewusst oder grob fahrlässig falsche Angaben bei der Antragstellung gemacht haben, die dann zu einer Bewilligung geführt haben oder
  • die Rechtswidrigkeit des Bescheides kannten oder grob fahrlässig nicht erkannt haben.

Das Gericht musste nun entscheiden, ob die Kläger:innen den Berechnungsfehler – und damit die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheideshätten erkennen müssen oder nicht.

Unterschied zwischen Brutto und Netto nicht Teil der Sorgfaltspflicht

Die Berliner Richter:innen verneinten dies. Grob fahrlässiges Verhalten zeichne sich dadurch aus, dass die Betroffenen ihre Sorgfaltspflichten in besonders hohem Maße verletzen. Ob das der Fall ist oder nicht, müsse immer anhand der Urteils- und Kritikfähigkeiten der jeweiligen Person, der Art und Schwere des Fehlers sowie den gesamten Umständen im Einzelnen beurteilt werden.

Im vorliegenden Fall sei es der Ehefrau, die innerhalb der Familie für die Kommunikation mit dem Amt zuständig war, nicht zuzumuten, die teilweise sehr komplexen Berechnungen des Jobcenters auf jegliche Fehler hin zu überprüfen. Im Verfahren gab die Frau zu, dass sie Schwierigkeiten damit habe, Brutto und Netto voneinander zu unterscheiden. Aus diesem Grund habe sie die 1.600 EUR als Berechnungsgrundlage zwar gesehen, aber nicht richtig einordnen können.

Für das Gericht ist damit klar, dass die Bürgergeld-Empfängerin nicht grob fahrlässig gehandelt hat – im Gegenteil: Sie habe sich den Bescheid nach besten Wissen und Gewissen durchgelesen. Mehr könne und dürfe das Jobcenter von der Frau nicht verlangen. Vielmehr habe die Familie darauf vertrauen dürfen, dass das Jobcenter alles korrekt berechnet. Der Fehler gehe somit zulasten der Behörde, weshalb eine Rückforderung ausgeschlossen sei, so das Gericht abschließend.

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Geschrieben von: Paul zu Jeddeloh

Seit 2019 bereichert er unser Anwalts-Team und macht sich für die Rechte von Bürgergeld-Empfänger:innen stark. Soziale Ungerechtigkeiten räumt er aus dem Weg. Sein weitreichendes Know-how aus vergangenen Fällen und sein tiefgreifendes Wissen über aktuelle Entwicklungen im Sozialrecht verhelfen zahlreichen Ratsuchenden zum Recht.