Bescheide des Jobcenters müssen immer eine vollständige Belehrung über die Rechtsbehelfe des*der Adressat*in beinhalten. Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein hat in einer aktuellen Entscheidung festgestellt, dass eine von vielen Jobcentern genutzte Standardformulierung in der Belehrung unzureichend ist. Daraus folgt eine lange Frist, in der Betroffene Rechtsmittel gegen Jobcenterbescheide einlegen können.
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Ausschluss im elektronischen Widerspruchsverfahren unzulässig
Konkret ging es um folgenden Absatz in einer Belehrung, der das elektronische Widerspruchsverfahren zum Gegenstand hatte: „Soweit der Widerspruch durch eine/n Bevollmächtigte Rechtsanwältin/Rechtsanwalt eingelegt wird, kann diese/r zur wirksamen Ersetzung der Schriftform den Widerspruch als elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, auch über das besondere Anwaltspostfach (beA), übermitteln.“
Ein Hartz IV-Empfänger, dessen Widerspruchsbescheid genau diese Passage enthalten hat, sah das als fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung an. Denn aus dem Wortlaut gehe eindeutig hervor, dass das elektronische Widerspruchsverfahren ausschließlich Anwält*innen offenstehe. Das sei aber unzutreffend. Auch ohne rechtlichen Beistand sei man in der Lage, seinen Widerspruch mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen und ihn damit digital einzulegen.
Jobcenter verteidigt seine Belehrung
Das Jobcenter hingegen hält die Belehrung für zutreffend und vollständig, da:
- Sie § 36a Absatz 1 SGB I entspreche. Momentan können elektronische Widersprüche ausschließlich über das besondere Anwaltspostfach an die Behörde übermittelt werden.
- Es keinen generellen Zugang zum digitalen Widerspruchsverfahren gebe, da das Jobcenter E-Mails mit qualifizierter elektronische Signatur nicht empfangen könne.
und
- Ein allgemeiner Hinweis, dass ein Widerspruch in Form einer einfachen E-Mail nicht ausreiche, die Rechtsbehelfsbelehrung unnötig überladen hätte, was ebenfalls unzulässig sei.
Daher beantragte es im Verfahren, den Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts, der dem Hartz IV-Empfänger Recht gab, aufzuheben.
Digitaler Widerspruch steht jedem*jeder offen
Das LSG Schleswig-Holstein schloss sich der Auffassung des Grundsicherungsempfängers und der ersten Instanz an und verwarf den Antrag des Jobcenters als unbegründet. Durch die oben genannte Formulierung erwecke das Jobcenter bei den Empfänger*innen seiner Bescheide den Eindruck, dass nur Rechtsanwält*innen den Widerspruch elektronisch einlegen können.
Das entspreche aber weder der Rechtslage noch den technischen Möglichkeiten des Jobcenters, so das Gericht. § 36 a Absatz 1 SGB I erkläre die Übermittlung elektronischer Dokumente als zulässig, wenn der*die Empfänger*in einen Zugang hierfür schafft. Durch seine Eintragung in das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) habe das Jobcenter genau diesen Zugang geschaffen, da Sinn und Zweck des EGVP ja gerade die Übermittlung von elektronischen Daten an Gerichte und Behörden sei.
Das elektronische Postfach der Behörde sei auch ohne weiteres für jede*n erreichbar. Eine Belehrungsklausel, die genau das Gegenteil behauptet, sei daher unzutreffend. Vielmehr müsse der Bescheid in allgemeiner Form über das elektronische Widerspruchsverfahren informieren. Rechtsbehelfsbelehrungen, die die strittige Passage beinhalten, seien dementsprechend fehlerhaft.
Lange Rechtsbehelfsfrist in vielen Fällen
Fehlerhafte Belehrungen führen gemäß § 66 Absatz 2 Satz 1 SGG zu einer Rechtsbehelfsfrist von einem Jahr. Somit weitet die Vorschrift die normalerweise geltende Widerspruchsfrist von einem Monat deutlich aus. Da die fehlerhafte Passage häufig in Bescheiden auftaucht, haben viele Hartz IV-Empfänger*innen, die gerade in Zeiten einer Pandemie nicht immer rechtzeitig Hilfe bekommen konnten, jetzt genug Zeit, um gegen ihre Bescheide vorzugehen.
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