Wer durch einen Betrug hilfsbedürftig wird, muss die empfangenen Leistungen nicht an das Jobcenter zurückzahlen. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entscheiden. Geklagt hat eine 62-jährige Frau, die bezogene Leistungen vom Jobcenter zurückzahlen sollte, weil sie in Folge eines Heiratsschwindels auf staatliche Hilfe angewiesen war.
Verliebt, betrogen und selbst Schuld?
Für sie war es die große Liebe. Daher zögerte die Klägerin nicht, als sie von den finanziellen Schwierigkeiten ihres “Lebensgefährten” erfuhr und überwies insgesamt 24.000 EUR an ausländische Konten, um sich und ihrem Partner ein gemeinsames Leben in Deutschland zu ermöglichen.
Durch die Transaktion wurde sie selbst jedoch mittellos und brauchte das gesamte Erbe ihrer Mutter auf. Sie beantragte daher Hartz IV und erhielt dieses auch vorläufig, bis das Jobcenter von den Hintergründen erfuhr. Prompt forderte es die Rückzahlung aller gewährten Leistungen.
Denn durch ihr Verhalten habe die Frau ihre Bedürftigkeit grob fahrlässig selbst verursacht. Zum einen hätte sie an einigen Punkten skeptisch werden müssen, zum anderen hätte sie sich zumindest durch einen Vertrag schriftlich absichern müssen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass jemand einen so großen Teil seines Vermögens einfach so an jemanden überweise.
Opfer soll nicht auch noch bestraft werden
Das sah die Klägerin anders: Um einen Rückzahlungsanspruch begründen zu können, hätte sie sozialwidrig handeln müssen. Sie habe aber zu keinem Zeitpunkt in der Absicht gehandelt, durch den Verlust ihres Vermögens in den Genuss von staatlicher Unterstützung zu kommen.
Vielmehr sei sie selber Opfer eines Betrügers geworden, der das Vertrauensverhältnis ausgenutzt hat, um sich selber zu bereichern. Ihr Verhalten möge vielleicht ein wenig naiv gewesen sein, sei aber noch lange kein Grund, der sie zur Rückzahlung verpflichte.
Betrugsopfer zu sein ist kein sozialwidriges Verhalten
Das LSG gab der Klägerin Recht. Eine Rückzahlung von empfangenen Leistungen komme nur in Betracht, wenn der Leistungsempfänger seine Lage absichtlich herbeiführt. Es sei nicht mit geltendem Recht vereinbar, wenn die Behörde eine Leistungsgewährung davon abhängig machen würde, wie nachvollziehbar eine Hilfesituation entsteht.
Typisch für den Betrug sei ja gerade, dass sein Gelingen von der Naivität bzw. dem Vertrauen des Opfers abhänge und somit für Außenstehende oft nicht verständlich sei. Hierin ein Unrechtsverhalten zu sehen, das bestraft werden müsse, gebiete sich nicht.
Urteil hat Signalwirkung auf Hartz IV-Bezug
Das Urteil macht deutlich, dass Jobcenter Leistungen unabhängig von der Entstehung der Bedarfssituation gewähren muss. Somit erstreckt es sich nicht nur auf Fälle des Heiratsschwindels, sondern auf Betrugsfälle im Allgemeinen. Das Urteil kann aber noch vom Bundessozialgericht aufgehoben werden, sollte das Jobcenter Rechtsmittel einlegen.
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