Verstoßen Bürgergeld-Empfänger:innen gegen ihre Mitwirkungspflichten, können Jobcenter Leistungen ganz oder teilweise entziehen. Für die Jobcenter ist das oft ein Einfallstor für Drangsalierung. Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat in einem neuen Urteil klargestellt, wo die Grenze zwischen zulässiger Praxis und Willkür liegt.
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Vollständige Entziehung des Bürgergeldes bei Pflichtverstoß?
Um einzelfallgerechte Entscheidungen treffen zu können, räumt das Sozialrecht dem Jobcenter oft einen Beurteilungsspielraum ein. Das kann aber auch nach hinten losgehen: Immer wieder führt diese „Narrenfreiheit“ dazu, dass Bürgergeld-Empfänger:innen vom Wohlwollen der Jobcenter abhängig sind. So auch im Ausgangsfall: Eine alleinerziehende Mutter bezog zusammen mit ihrer dreijährigen Tochter Bürgergeld. Unterhaltszahlungen vom Kindsvater erhielt sie nur in bar. Nachdem das Jobcenter Kontoauszüge von ihr verlangt hatte, reichte sie diese teilweise geschwärzt ein.
Das nahm das Jobcenter zum Anlass, die Leistungen ganz nach § 66 SGB I zu streichen. Zur Begründung führte die Behörde aus, dass die Mitwirkungspflichten der Frau mehr erfordern, als geschwärzte Kontoauszüge einzureichen. Zudem hieß es im Ablehnungsbescheid:
„Sie (…) haben keine Gründe mitgeteilt, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Ihren Gunsten (…) berücksichtigt werden können. Nach Abwägung des Sinns und Zwecks der Mitwirkungsvorschriften mit Ihrem Interesse an den Leistungen, sowie dem öffentlichen Interesse an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, werden die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für Sie und Ihr Kind (…) ganz ab dem 1. April 2022 entzogen.“
Hinweis: Kontoauszüge dürfen geschwärzt werden
Da Kontoauszüge mitunter sehr sensible Daten enthalten können, die das Jobcenter nicht für seine Arbeit braucht, haben Sie das Recht, Empfänger:innen von Überweisungen sowie Teile der Buchungstexte und des Verwendungszwecks zu schwärzen.
Zahlungseinstellung braucht Begründung
Nachdem das Widerspruchsverfahren gescheitert war, wehrte sich die betroffene Bürgergeld-Empfängerin gegen die Zahlungseinstellung mithilfe einer Klage vor dem Sozialgericht.
Ausgehend von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Sanktionen aus dem Jahr 2019, entwickelten die Richter:innen zwei Voraussetzungen für das Entziehen der Leistungen nach § 66 SGB I:
- 1. Vor dem Kürzen muss der oder die Betroffene die Möglichkeit haben, sich nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich zum Fall zu äußern.
- 2. Bei einer Kürzung um mehr als 30 % muss das Jobcenter ganz genau angeben, welche besonderen Gründe einen so gravierenden Einbehalt rechtfertigen. Schwammige und floskelhafte Begründungen reichen dabei nicht aus.
Diese Voraussetzungen sollen vor allem dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung tragen, das die Jobcenter auch dann bindet, wenn sie – wie im vorliegenden Fall – Ermessen ausüben.
Jobcenter kassiert Klatsche vor dem Sozialgericht
Das Gericht gab schließlich der Bürgergeld-Empfängerin Recht und hob die Sanktionsbescheide des Jobcenters auf. Im vorliegenden Fall habe die Behörde grob fahrlässig nicht erkannt, dass die komplette Leistungsversagung eine unangemessene Härte für Mutter und Tochter darstellt – selbst wenn sich die Mitwirkung auf Seiten der Leistungsempfängerin in Grenzen halten sollte.
Weder habe das Jobcenter noch einmal persönlich bei der Frau nachgehakt, noch habe es die Versagung ausreichend begründet. Im Bescheid führte es lediglich an, dass das öffentliche Interesse das Bezugsinteresse der Betroffenen überwiege. Eine so abstrakte und vage Formulierung reiche nicht einmal ansatzweise aus, um eine komplette Zahlungseinstellung zu begründen, so die Richter:innen.
Widersprüche lohnen sich
Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie schnell das Jobcenter auch bei angeblich eindeutigen Fällen Fehler macht und wie verheerend die Folgen sein können. Daher sollten Sie Ihre Bescheide immer gegenchecken lassen. Unsere Partneranwältinnen und Partneranwälte erledigen das kostenlos für Sie.
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