Paare, die weniger als ein Jahr zusammenwohnen, bilden eine Bedarfsgemeinschaft auf Probe.

Bedarfsgemeinschaft auf Probe: Anrechnung im 1. Jahr nur ausnahmsweise

Üblicherweise bilden Paare erst dann eine Bedarfsgemeinschaft, wenn sie länger als ein Jahr zusammenleben. Allerdings darf das Jobcenter auch schon früher von einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ausgehen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine besonders enge Beziehung zwischen den Partnern liefern kann. Dabei sind die rechtlichen Hürden für das Amt sehr hoch, bekräftigt das Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein in einem neuen Urteil. 

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Jobcenter will Regelsatz bei Bedarfsgemeinschaft auf Probe anrechnen

Teilen sich zwei oder mehr Personen einen Haushalt, stellt sich für das Jobcenter immer die Frage, ob eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt oder nicht. Was auf den ersten Blick wie eine bloße Formalie wirkt, hat erhebliche Auswirkungen auf den Regelsatz: Innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft werden sowohl Einkommen als auch Leistungen des im Haushalt lebenden Partners auf das Bürgergeld angerechnet. 

Entsprechend häufig kommt es zwischen Jobcentern und Bürgergeld-Empfängern zum Streit über das Bestehen einer Vertrauens- und Einstehensgemeinschaft. Der Fall eines Lübecker Paares hat es jetzt bis vor LSG Schleswig geschafft. 

Im April 2025 zog der Kläger mit seiner Partnerin in eine gemeinsame Wohnung. Kurz darauf rutschte der Mann vom Arbeitslosengeld ins Bürgergeld. Als das Amt seinen Antrag prüfte, behandelte es den 52-Jährigen und seine Partnerin wie eine Bedarfsgemeinschaft und rechnete das Einkommen der Freundin an. Dadurch minderten sich die Leistungen des Mannes erheblich.

Hinweis: Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft

Da sich die Bedarfsgemeinschaft durch ein besonderes Näheverhältnis zwischen den Partnern auszeichnet, in dem sie füreinander Verantwortung tragen, spricht das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II) auch von einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft.

Keine Bedarfsgemeinschaft auf Probe wegen gemeinsamen Mietvertrags?

Das Jobcenter begründete seine Entscheidung damit, dass das Paar bereits jetzt schon eine intensive Beziehung miteinander führe, ohne lange zusammenzuwohnen. Anzeichen dafür seien unter anderem:

  • der gemeinsam abgeschlossene Mietvertrag,
  • der gemeinsam genutzte und bewirtschaftete Haushalt und
  • die Mitnutzung des Autos der Partnerin. 

Unzufrieden mit der Entscheidung, rief der Lübecker das LSG zur Klärung des Falles an.

Jobcenter muss konkrete Anhaltspunkte liefern

Die Landesrichter stellten sich auf die Seite des Bürgergeld-Empfängers und entschieden, dass er und seine Freundin lediglich eine Bedarfsgemeinschaft auf Probe darstellten. Maßgeblich für das Urteil war § 7 Abs. 3a SGB II – eine Vermutungsregelung, die Jobcenter und Gerichte heranziehen, wenn sie das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft prüfen. 

Nach der Vorschrift darf das Amt von einer Bedarfsgemeinschaft ausgehen, wenn Partner:

  • länger als ein Jahr zusammenleben,
  • mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
  • Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
  • befugt sind, über das Einkommen der jeweils anderen Person zu verfügen.

Zwar könnten Paare auch dann eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bilden, wenn sie diese Voraussetzungen nicht erfüllten. In so einem Fall müssten nach Auffassung der Richter aber andere gewichtigen Tatsachen vorliegen, die für dieses besondere Näheverhältnis zwischen den Beteiligten sprechen. 

„Normaler“ Paaralltag reicht nicht aus

Und genau solche Indizien fehlten laut Gericht im Ausgangsfall. Die vom Jobcenter aufgezählten Anhaltspunkte seien nichts Besonderes, sondern in den Anfangsphasen einer Beziehung oder auch in Wohngemeinschaften normal. Ein gemeinsamer Haushalt oder Mietvertrag zeuge – wenn überhaupt – nur von einer Bedarfsgemeinschaft auf Probe.

Weil es also an schlüssigen Darlegungen des Jobcenters fehle, dürfe hier auch nicht von einer richtigen Bedarfsgemeinschaft ausgegangen werden, so das LSG.

Das Handeln des Jobcenters Lübeck ist kein Einzelfall: Immer wieder ignoriert das Amt die Vermutungsregelung des SGB II oder legt sie falsch aus. Das Urteil des LSG zeigt aber, dass Betroffene sich wehren können. Grundsätzlich gilt: Solange Sie weniger als ein Jahr mit Ihrem Partner zusammenwohnen, haben Sie gute Chancen, Ihre Einstufung als Bedarfsgemeinschaft vor Gericht anzufechten. 

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Geschrieben von: Paul zu Jeddeloh

Seit 2019 bereichert er unser Anwalts-Team und macht sich für die Rechte von Bürgergeld-Empfänger:innen stark. Soziale Ungerechtigkeiten räumt er aus dem Weg. Sein weitreichendes Know-how aus vergangenen Fällen und sein tiefgreifendes Wissen über aktuelle Entwicklungen im Sozialrecht verhelfen zahlreichen Ratsuchenden zum Recht.