Eine unangemessene Verfahrensdauer berechtigt die Prozessbeteiligten zur Schadensersatzklage.

Unangemessene Verfahrensdauer: 2.600 EUR Ausgleich für Arbeitslosen

Vor Sozialgerichten geht es häufig um das Bestehen oder Nichtbestehen existenzieller Leistungsansprüche. Entsprechend gravierend sind die Folgen, wenn sich das Verfahren unnötig in die Länge zieht. Doch als Bürgergeld-Empfänger:in haben Sie bei einer unangemessenen Verfahrensdauer Anspruch auf Entschädigung, wie ein aktueller Fall des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg zeigt.

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Bürgergeld-Empfänger verlangt Entschädigung für unangemessene Verfahrensdauer

Die Mühlen der deutschen Justiz mahlen mitunter sehr langsam: Gerichtsprozesse dauern – insbesondere im Sozialrecht – schnell mal mehrere Jahre. Für die Betroffenen geht das lange Warten auf eine endgültige Entscheidung immer mit einer großen finanziellen Unsicherheit einher. Unter anderem deshalb hat das LSG Berlin-Brandenburg jetzt entschieden, dass Bürgergeld-Empfänger:innen eine Entschädigung verlangen können, wenn eine unangemessene Verfahrensdauer vorliegt.

Hintergrund der Entscheidung war der Fall eines Leistungsbeziehers, der über sechs Jahre auf ein Urteil für seine Klage warten musste. 2016 zog der Mann vor Gericht, weil das Jobcenter eine Eingliederungsvereinbarung (inzwischen abgelöst durch den Kooperationsplan) zurückgenommen und dem Betroffenen deshalb einen Teil seines Bürgergeldes gestrichen hatte.

2018 wies das zuständige Sozialgericht (SG) die Klage des Mannes zwar ab, allerdings unterschrieb der damalige Kammervorsitzende den Gerichtsbescheid nicht, sodass die Entscheidung des SG unwirksam war. Erst nachdem der Bürgergeld-Empfänger sowohl Rechtsmittel als auch Verfahrensrüge eingelegt hatte, legte das Gericht einen neuen Termin für eine zweite mündliche Verhandlung fest. Im Oktober 2022 – also sechs Jahre nach Klageerhebung – fiel schließlich ein rechtsverbindliches Urteil durch das SG. Grund genug für den Betroffenen, nun eine Entschädigung wegen der unangemessenen Verfahrensdauer geltend zu machen.

Hinweis: Eingliederungsvereinbarung

Die sogenannte Eingliederungsvereinbarung war früher Teil des alten Hartz IV-Systems. Hinter dem Begriff verbarg sich eine Art schriftlicher Vertrag zwischen dem Jobcenter und Leistungsbeziehenden, der genau festlegte, welche Rechte und Pflichten die damaligen Hartz IV-Empfänger:innen hatten. Im Juli 2023 wurde die Eingliederungsvereinbarung schließlich durch den Kooperationsplan abgelöst.

Unangemessene Verfahrensdauer: Diese Voraussetzungen müssen vorliegen

Die rechtliche Grundlage für eine Kompensation bei Verfahrensverzögerungen findet sich in § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Demnach hat jede Person, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt ist, einen Entschädigungsanspruch, wenn:

  1. eine unangemessene Verfahrensdauer vorliegt,
  2. dem oder der Betroffenen dadurch ein Nachteil entsteht und
  3. zuvor eine Verzögerungsrüge beim Gericht erhoben wurde.

Ab wann ein Gerichtsprozess unangemessen lange dauert, hängt immer vom Einzelfall ab. Pauschale Zumutbarkeitsgrenzen gibt es nicht. Stattdessen entscheidet das Gericht basierend auf bestimmten Faktoren, wie:

  • der Komplexität des Falles,
  • der Bedeutung des Verfahrens für die Prozessbeteiligten,
  • dem Verhalten und der Mitwirkungsbereitschaft der Parteien oder
  • der Arbeitsweise und Auslastung des Gerichts.

Grundsätzlich gilt aber: Je länger sich ein Prozess hinzieht, desto eher bejahen Gerichte das Vorliegen einer unangemessenen Verfahrensdauer. Neben einer inadäquaten Verzögerung sind auch die Fristen des GVG bei der Durchsetzung Ihres Entschädigungsanspruchs entscheidend. Sie können die Klage frühestens sechs Monate nach der Verzögerungsrüge einlegen. Von da an haben Sie bis spätestens sechs Monate nach Ende des Gerichtsverfahrens Zeit, um gegen die unangemessene Verfahrensdauer vorzugehen.

LSG spricht Bürgergeld-Empfänger 2.600 EUR Entschädigung zu

Im Fall des Grundsicherungsempfängers, der sechs Jahre auf ein Urteil warten musste, sah das LSG eine unzumutbare Verfahrensverzögerung als gegeben an. Insgesamt habe die schlampige und unorganisierte Arbeitsweise des SG das ohnehin schon lange Verfahren um weitere 26 Monate verzögert. Die Landesrichter:innen sprachen dem Kläger daher insgesamt 2.600 EUR zu.

Zudem betonte das LSG in seinem Urteil, dass die Ausnahmeregelung in § 198 Absatz 4 GVG, nach der eine Entschädigung auch in anderer Weise als in Geld erfolgen kann, bei Bürgergeld-Sachen nicht greife. Denn sozialrechtliche Streitigkeiten seien für die Betroffenen viel zu bedeutsam, als dass eine bloße Feststellung der Unangemessenheit ausreicht, um die Schäden eines überlangen Verfahrens zu kompensieren.

Entschädigung für unangemessene Verfahrensdauer nicht anrechenbar

Bürgergeld-Empfänger:innen können aus dem Urteil des LSG mitnehmen, dass sie der sehr langsamen Arbeitsweise der Justiz nicht schutzlos gegenüberstehen – im Gegenteil! Das GVG gibt Ihnen die Möglichkeit eines finanziellen Ausgleichs, sollten Sie Opfer einer unangemessen langen Verfahrensdauer werden.

Hinzu kommt, dass die Entschädigungszahlung, die Sie erhalten, nicht mit Ihrem Bürgergeld verrechnet werden darf. Das Jobcenter hat keine Zugriffsmöglichkeit auf die Summe.

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Geschrieben von: Paul zu Jeddeloh

Seit 2019 bereichert er unser Anwalts-Team und macht sich für die Rechte von Bürgergeld-Empfänger:innen stark. Soziale Ungerechtigkeiten räumt er aus dem Weg. Sein weitreichendes Know-how aus vergangenen Fällen und sein tiefgreifendes Wissen über aktuelle Entwicklungen im Sozialrecht verhelfen zahlreichen Ratsuchenden zum Recht.