Viele Empfänger von Sozialleistungen in Deutschland sind von Armut betroffen.

Besucherrekorde bei den Tafeln: Wenn Hartz 4 nicht für Essen reicht

Die Bremerhavener Tafel, bei der Bedürftige umsonst Essen bekommen, feiert einen traurigen Rekord: Ihre Besucherzahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Viele Empfänger von Sozialleistungen in Deutschland sind von Armut betroffen. Die Nachbarländer zeigen, wie es besser geht.

Armut im reichen Deutschland

Deutschland geht es gut. Die BRD liegt auf Platz 18 der reichsten Länder der Welt, wenn man als Maßstab das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner nimmt. Auch dem Fiskus geht es gut. Die Steuereinnahmen haben in den vergangenen Jahren immer neue Rekorde gebrochen, die schwarze Haushaltsnull ist auch in diesem Jahr ein realistisches Ziel der großen Koalition aus CDU und SPD. Eigentlich sollte der Staat sich also gut um seine Bürger kümmern können.

Besucherzahlen bei Bremerhavener Tafel explodiert

Der Teil der Bevölkerung, der finanziell nicht für sich selbst sorgen kann, steckt allerdings trotz Sozialleistungen immer häufiger in Existenznöten. Das zeigt aktuell die Besucherentwicklung bei der Bremerhavener Tafel.

Hinweis: Jeder sechste bezieht Essen von der Tafel

Laut Manfred Jabs, Vorsitzender des Landesverbandes der Tafeln in Bremen und Niedersachsen, ist die Zahl der Hilfebedürftigen in Bremerhaven in den letzten Jahren “explodiert”. Um 20.000 Menschen bekommen Lebensmittel von der dortigen Tafel – doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Jeder sechste Einwohner Bremerhavens bekommt inzwischen Essen von der Tafel.

Seit Hartz 4 hat sich die Zahl der Tafeln in Deutschland verdoppelt

Auch bundesweit gibt es immer mehr Andrang bei den Tafeln. Die Anzahl der Tafeln ist von 480 Einrichtungen im Jahr 2005, dem Jahr der Einführung von Hartz 4, auf heute 941 Tafeln gestiegen. Auch die Besucherzahlen steigen laut dem bundesweiten Dachverband der Tafeln stetig an. Insgesamt unterstützen die Tafeln derzeit etwa 1,5 Millionen Menschen in Not.

Leider steigen die Lebensmittelspenden nicht im gleichen Ausmaß wie die Besucherzahlen – sodass jede einzelne bedürftige Person immer weniger Lebensmittel bekommt. Ein weiteres Problem: Immer mehr Kinder und Jugendliche sind auf Hilfe der Tafeln angewiesen.

Tafeln springen ein, wenn Hartz nicht reicht

Pikant dabei: Die Tafeln sind keine staatlichen Einrichtungen, sondern springen dort ein, wo staatliche Unterstützung nicht mehr ausreicht. Als Freiwilligenorganisationen haben sie keine bundesweit einheitlichen Regeln darüber, wer Zugang zu ihren Lebensmittelspenden erhält.

Hinweis: Sozialleistungen reichen nicht aus

Manche Tafeln lassen auch Geringverdiener zu, doch die Mehrzahl der Menschen, die in den Schlangen vor den Lebensmittelausgaben der Tafeln stehen, bekommt Sozialleistungen. Diese sollten eigentlich ihre Existenz sichern. Faktisch sind aber viele zusätzlich zu ihren Sozialleistungen auf die Lebensmittelspenden angewiesen.

Grundsicherung in den Nachbarländern ist besser

Dazu passt eine Feststellung von Eurostat: 2018 waren in Deutschland 16 % der Menschen, die Sozialleistungen erhielten, trotzdem noch armutsgefährdet. Wie kann das sein? Eine Erklärung bietet ein Vergleich mit den Grundsicherungssystemen der Nachbarländer. Dabei fällt auf: ALG II ersetzt nur 40 % eines deutschen Durchschnittslohns.

Andere europäische Länder wie

  • Dänemark
  • Belgien
  • und die Niederlande

zahlen bis zu 50 % des Medianlohns. Das hat konkrete Auswirkungen auf die Armutsgefahr von Sozialleistungsbeziehern: Die Quote in Dänemark beispielsweise liegt nur bei rund 12 %.

Freiwillige Hilfen dürfen nicht staatliche Grundsicherung ersetzen

Nun könnte man denken, dass eigentlich alles in Ordnung ist, solange die Menschen am Ende über die Runden kommen. Doch der Sozialstaat darf sich nicht darauf verlassen, dass Freiwillige seine Aufgaben übernehmen.

Das Argument für die Berechnung der Hartz IV-Regelsätze ist ja gerade, dass sie genau das Existenzminimum abdecken sollen. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, muss die Politik nachjustieren. Die Anpassungen der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit dem Starke Familien Gesetz waren ein Schritt in die richtige Richtung. Doch der Weg ist noch weit.

 

Quellen:

 

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Geschrieben von: Paul zu Jeddeloh

Seit 2019 bereichert er unser Anwalts-Team und macht sich für die Rechte von Bürgergeld-Empfänger:innen stark. Soziale Ungerechtigkeiten räumt er aus dem Weg. Sein weitreichendes Know-how aus vergangenen Fällen und sein tiefgreifendes Wissen über aktuelle Entwicklungen im Sozialrecht verhelfen zahlreichen Ratsuchenden zum Recht.

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